LICHT - LEBEN - LIEBE - Weihnachten 2024
24. Dez 2024
Viele kennen die sogenannte „Stalingrad Madonna“, die der Arzt und Theologe und Künstler Kurt Reuber im Kessel von Stalingrad 1942 für eine kleine improvisierte Weihnachtsfeier in einem Bunker gemalt hat.
Traurig ist, dass in den ersten Nachkriegsjahren dieses Bild dazu diente, Soldatenromantik zu nähren. Die deutschen Soldaten wurden als Opfer dargestellt, die Trost im Glauben an Gott suchten. Novellen und Kriegsmemoiren verklärten in den Nachkriegsjahren die Kriegsweihnachten im Stalingrader Kessel. (Vgl. Wikipedia) Nichts liegt mir ferner als mich dem anzuschließen.
Die Soldaten in allen Kriegen waren und sind Teil eines grausamen Geschehens: Soldaten, Männer und Frauen, töten einander, und unbeteiligte Frauen, Männer und Kinder. Frauen werden vergewaltigt, Häuser angezündet, menschliche Seelen verletzt und in lebenslange Bitterkeit und Trauer gestürzt. Noch heute leiden nicht wenige unter diesem Erbe. Krieg bringt Zerstörung und Tod. Er entmenschlicht die Menschen – auf jeder Seite der Front.
Es ist erstaunlich. Mitten im Gemetzel, im Kampf gegen Kälte, Schnee und Hunger zeichnete Reuber ein Bild voll Geborgenheit und Frieden.
Mir, einem Kriegsdienstverweigerer, der Pfarrer wurde und in einer sicheren und warmen und stabilen Umwelt leben darf, ist es unmöglich, mich in das Erleben dieser Männer einzufühlen. Darf ich dieses Bild überhaupt heranziehen? Ich tue es, weil es mich berührt, seit ich es das erste Mal gesehen habe.
Reuber selbst erklärte seiner Frau das Bild im Brief:
„Kind und Mutterkopf sind zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen, Geborgenheit und Umschließung von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe.
Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns!“ (zitiert nach eine Artikel von Chrismon: https://chrismon.de/kolumnen/kulturbeutel/vor-80-jahren-die-stalingradmadonna-von-kurt-reuber)
Ich hoffe sehr, dass die Sehnsucht nach „Licht – Leben – Liebe“ auch heute lebendig ist und stärker bleibt als die Faszination, die Zorn und Wut, Hass und Gewalt auf viele Menschen ausüben.
Beim Betrachten des Bildes wirken die Falten des Tuches, die unterhalb dem Gesicht Marias zusammentreffen, fast wie die Finger zweier Hände, die Frau und Kind umschließen und bergen.
In all dem, was uns bedroht, ist es doch möglich, dass wir uns geborgen und umschlossen fühlen, von einer Macht, der göttlichen, die uns davor bewahrt, ängstlich eng und zornig groß zu werden.
Die Mutter Maria birgt das Kind und schützt es mit ihren Armen. Von diesem Kind schreibt Reuber: „Schau in dem Kind das Erstgeborene einer neuen Menschheit an, das unter Schmerzen geboren, alle Dunkelheit und Traurigkeit überstrahlt. Es sei uns ein Sinnbild sieghaften zukunftsfrohen Lebens, das wir nach aller Todeserfahrung umso heißer und echter lieben wollen.“ (zitiert nach einem Artikel von Chrismon: https://chrismon.de/kolumnen/kulturbeutel/vor-80-jahren-die-stalingradmadonna-von-kurt-reuber)
Reuber nennt Jesus „Erstgeborener einer neuen Menschheit“. Zurecht: ungezählte Menschen folgten und folgen ihm und werden dadurch zu neuen Menschen, die nicht dem Diktat der Macht der Gewalt und des Geldes folgen, sondern die Liebe zum Leben der anderen als Ideal wählen und dadurch das Licht des Erstgeborenen des neuen Volkes Gottes leuchten lassen.
Wenn wir an Weihnachten die Geburt dieses Kindes feiern, feiern wir dankbar auch, dass wir Teil dieser neuen Menschheit sein dürfen: nicht vollkommen, nicht 100 prozentig – aber ernsthaft und ehrlich. Die „alte“ Menschheit, die sich von Gewalt und Hass leiten lässt, ist mit der Geburt Jesu nicht einfach verschwunden. Auch in uns selbst lebt sie weiter, wenn wir manchmal nicht der Stimme folgen, die uns zur Liebe ruft.
Das Lukasevangelium und das Matthäusevangelium schildern auf verschiedene Weise, wie das Kind Jesus und seine Mutter bedroht waren von den Mächtigen der Zeit. Auch heute trachten in einem hintergründigen Sinn viele Mächte Jesus nach dem Leben: Er wird nicht mehr ernst genommen. Man sagt, die Bergpredigt sei politisch nicht umsetzbar. Die Überlieferung von Jesus sei unglaubwürdig. Zugleich plustern sich Gewalt und Unterdrückung und Hass auf und drohen die Friedensliebe, die Liebe zum Leben zu verschlingen.
Es ist wichtig und notwendig, dass wir unseren Glauben an den Erstgeborenen einer neuen Menschheit schützen und bergen. Wir schützen damit den Glauben an die – friedliche - Zukunft der Menschheit.
Maria schützt Jesus – das
Kind der Hoffnung.
Ein Bild des Friedens in kriegerischer Zeit.
Zu Weihnachten wünsche ich uns, dass wir berührt von Jesus, dem Erstgeborenen einer neuen Menschheit, ein Teil davon sind und bleiben – damit wir Frieden in uns tragen und mutig für den Frieden eintreten.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen, in denen Gott selber lebt.“
Martin Müller